Ich bewahre meinen Reisepass unter meinem Bett auf. Abgelaufen. Ganze neun Jahre. Ist es wirklich neun Jahre her, dass ich das letzte Mal in Rumänien war? Neben dem Pass liegt eine ungeöffnete Flasche Schnaps. Reiche Ernte Mirabelle. Ich weiß auch hier nicht, wie lange der schon hier lagert. Oder wo ich auf die Idee kam, eine Flasche Klaren mitzunehmen.
Die Erinnerung an das Gefühl des heißen Brennens in meiner Kehle überlagert meine Gedanken. Kurz komme ich auf die Idee mir einen Kurzen zu genehmigen. Ist hier das letzte Mal auch schon neun Jahre her? Es ist 12 Uhr. Mittags.
Vielleicht heute Abend mit Vattern. Ich mag eigentlich keinen Schnaps. Vielleicht erinnert er mich an eine wildere Zeit, aber selbst da mochte ich Schnaps nicht. Ich denke an eine durchkotzte Nacht nach einer Party während meiner Studentenzeit. Am nächsten Tag schrieb mir ein Typ von der Party, dass ich mich den ganzen Abend nicht von der Stelle bewegt hätte und schon sehr früh gegangen wäre. Ich wohnte gegenüber. Danach fragte er mich nach einem Treffen. Ich wieselte mich drumherum, denn er ist klein. Fraktion unter 1.70. Glaube ich zumindest. Zweites Argument: Er ist vergeben. Ein paar Monate später sollte er diese Freundin schwängern.
Wie er das wohl ausgehalten hat? Bei den meisten Paaren die ich kenne, wollen die Männer fremdvögeln, fremdflirten oder einfach nur fremd sein. Ich habe selbst auch noch keine absolute Treue erlebt. Nie. Sooner or later setzt sich jeder damit auseinander. Vielleicht nicht unbedingt in Zweisamkeit.
Ich glaube nicht an Treue und wünsche mir sie dennoch sehr. Es ist wie ein Traum, von dem ich nicht weiß, wo er herstammt.
Meinem Gehirn? Das Konzept Treue kann doch nicht in uns angelegt sein, wenn so viele es doch nicht leben können. Wenn ein Mann Treue lebt, dann nur aus der Angst vor Repressalien. Vor Verlust. Der gemeinschaftlich abzuzahlenden Wohnung. Der aufzulösenden, verwobenen Inhalte. Damit sind wohl auch Kinder gemeint.
Auch der Verlust von Ute oder Monika an seiner Seite, die er wahrhaftig liebt, könnte einen Mann zurückhalten.
Ich bin es Leid über Treue nachzudenken. Ich war schon alles. Affäre. Betrogene. Betrügende.
In jedem Zustand dieser unheiligen Dreifaltigkeit hat mich das Lügen am meisten gestört. Lügen und belogen werden erachte ich als verachtenswerter als die Tat.
Ich wünsche mir eine Beziehung ohne Lügen. Ohne denken lügen zu müssen. Eine Lüge aufzudecken fühlt sich wie das Brennen in der Kehle an, wenn man sich einen Schnaps kippt. Man fühlt sich plötzlich klar und aufgeweckt, das Brennen durchflutet meinen Körper und setzt sich giftig in meinem Bauch fest.
Gäbe es das Konzept der lügnerischen Untreue nicht, wäre ich schon längst verheiratet.